Von Fox zu Disney
Deadpool (Ryan Reynolds) kehrt nach sechs Jahren der Abwesenheit nicht nur auf die Kinoleinwand zurück, sondern findet sich in einer vollkommen neuen Filmlandschaft wieder, … zumindest, wenn es um Superheldenfilme geht. Deadpool steht nicht mehr unter der Produktionsmacht von 20th Century Fox, sondern ist nun ein Teil des immer größer werdenden Disney Konzerns. Dem Konzern, der seit vielen Jahren mit seinen Filmen des Marvel Cinematic Universe die gesamte Filmwelt fest in der Hand hatte, aber über die letzten Jahre so einiges von dieser Macht verloren hat. Zwei Faktoren, die so nicht nur für die äußeren Produktionsbedingungen von Deadpool & Wolverine relevant sind, sondern auch innerhalb des Films immer wieder thematisiert werden. Schließlich eignet sich Deadpool in seiner typischen Meta-Manier perfekt als selbstreflexives Sprachrohr, das diesen Wandel mit Witz und stetiger Ironie ansprechen muss.
Am Titel des Films abzulesen ist außerdem das prominente Auftreten von Wolverine, einem der ehemals größten Marvelhelden und gewissermaßen perfekten Gegenstück zu Deadpool. Hugh Jackman kehrt als Wolverine zurück und lässt diverse Träume von MCU-Superfans wahr werden. Schließlich treffen Deadpool und Wolverine zum ersten Mal seit dem eher misslungenen X-Men Origins: Wolverine (2009) aufeinander und nicht nur das, gleichzeitig nehmen sie beide in das Marvel Cinematic Universe Einzug, eine Art der höchsten Form der Legitimation von modernen Superhelden Filmen. Als Regisseur übernimmt Shawn Levy die Ehre, Deadpool ins MCU zu bringen, was aufgrund seiner regelmäßigen Zusammenarbeit und Freundschaft mit Ryan Reynolds nicht zu überraschend sein sollte.
Deadpool & Wolverine erscheinen somit zum perfekten Zeitpunkt im Kino: Das MCU steckt in der Krise, aber ähnlich wie schon durch Spider-Man: No Way Home (2021) wird mit Hilfe des Multiversums und dem immer währenden Appeal von Nostalgie ein Eventfilm geschaffen, der wie im Labor geschaffen ein möglichst großes Publikum an Marvel-Fans wieder in die Kinos holen soll. Und da äußert sich schon eins der ersten Probleme, Deadpool & Wolverine entfaltet sich wie ein Film, der ohne großen Hinblick auf Kohärenz in Story oder seinen Charakteren lediglich dafür da ist, um eine möglichst breite Masse anzusprechen. Die Fans stehen an erster Stelle, aber wenn man über die Oberfläche hinausschaut, dann werden sie doch gar nicht so sehr verwöhnt, wie man zuerst hätte denken können.
Das heilige MCU
Deadpool steckt in einer Krise. Er will etwas mit seinem Leben anstellen, aber er weiß nicht was. Er möchte ein Held sein, der etwas bewirkt, die Beziehung zu seiner Freundin Vanessa (Morena Baccarin) leider. Einfach gesagt steckt er in seiner Midlife-Crisis. Aber zu seinem Glück ist er jetzt Teil von Disney, das heißt, er hat die Möglichkeit, dem MCU beizutreten. Das MCU ist in Deadpool & Wolverine der Ort, an dem so ziemlich jeder Held sein will. Iron Man und Captain America sind moderne Ikonen und die Avengers eine Art Garant dafür, relevant zu sein. Auch wenn Deadpool als doch sehr gewalttätiger, fluchender und wohl oder übel perverser Super“held“ nicht so ganz in das Schema der für die Avengers relevanten Helden passt. Trotzdem ist von Deadpools Seiten aus eine klare Bewunderung für das MCU und seine Helden zu merken. Eine Bewunderung, die zum zentralen Konflikt für Deadpool herhalten muss. Tut er alles, um Teil des MCUs beziehungsweise der „Sacred Timeline“ zu werden oder gibt er sich mit seinem eigenen kleinen FOX-Universum zufrieden?
Nun ja, ein wahrer Konflikt ist das doch nicht. Schließlich entscheidet sich Deadpool doch sehr schnell, alles dafür zu tun, sein Universum vor dem Einfluss der TVA zu befreien und gibt dafür auch gerne die Möglichkeit dazu auf ein offizielles Mitglied der Sacred Timeline zu werden. Dementsprechend besteht Deadpools innerer Konflikt nicht aus einer Entscheidung oder sonstigen persönlichen Problemen, sondern lediglich aus dem Wunsch, seine Freunde und seine Geliebte zu retten. Sehr simpel, sehr eindimensional. Letzten Endes aber auch nur eine Art Ausrede, um Deadpool auf ein Abenteuer schicken zu können.
Teil dieses Abenteuers ist Wolverine nicht irgendein bestimmter, sondern einfach irgendein Wolverine den Deadpool im Multiversum aufsuchen muss, um ihm zu helfen. Nach längerem Hin und Her findet er einen depressiven Logan, der mehr oder weniger für den Tod der X-Men-Kollegen seines Universums verantwortlich ist. Somit steht Wolverine gewissermaßen auf der anderen Seite von Deadpool. Deadpool kämpft für das, was er noch hat, aber verlieren könnte, während Wolverine das, was er hatte, aufgrund seines Nicht-Kämpfens schon verloren hat.
Was in seiner Essenz wie eine passend simple Prämisse für einen Buddy-Roadtrip-Film mit Wolverine und Deadpool aussieht, entlarvt sich im Handlungsverlauf doch immer mehr als eine übermäßig simple Erzählung ohne jede Struktur. Ein Gedankenstrom, der vielleicht von Punkt A bis Punkt B läuft, aber diese Punkte nicht wirklich spannend miteinander verknüpft. Es folgen Actionsequenzen, Cameos und Gagszenen aufeinander ohne großen Spielraum für mehr als obligatorische emotionale Szenen übrig zu lassen. Ohne die doch ganz angenehme Chemie zwischen Reynolds und Jackman wäre das vielleicht zu wenig, aber die Freunde hinter der Kamera schaffen es doch, deren beiden Superhelden miteinander zu unterhaltsamen Figürchen zu formen. Auch wenn diese von Anfang bis Ende recht grob geformt bleiben und nie den Anspruch zu besitzen, sich klar zu definieren. Deadpool besitzt von Anfang an nicht genug emotionalen Hintergrund, um sich im Laufe der Handlung zu entwickeln, aber selbst Wolverine als Geplagter seiner Vergangenheit bekommt keine Zeit, um sein Trauma wirklich wiederaufzuarbeiten. Wie denn auch, wenn von seiner Vergangenheit immer nur erzählt und nie etwas gezeigt wird. Anstatt dort etwas an emotionalen Tiefgang zu schaffen, was durch Flashbacks und Interaktionen mit anderen Mitgliedern der X-Men passieren könnte, konzentriert sich der Film an anderer Stelle auf die anderen Charaktere des Fox-Universums von Marvelfiguren.
Cameos, Cameos und Cameos
Anstelle von Figuren, die irgendwo zur emotionalen Fallhöhe der Charakterbögen von Deadpool oder Wolverine beitragen, beruhen sich Levy und Marvel auf teilweise doch ziemlich obskure Charaktere aus deren Superheldenrepertoire. Chris Evans‘ Human Torch ist zurück, Elektra ist zurück, Blade ist zurück, Gambit ist endlich da, wo er bei Fox nie sein durfte und X-23 tritt wieder in den Vordergrund. Anhand dieser Aufzählung fällt vielleicht auf, dass lediglich X-23 aka Laura die einzige dieser Figuren ist, die einen persönlichen Bezug zu Deadpool oder Wolverine haben. Wobei selbst das nicht so ganz gegeben ist, schließlich kennen sich dieser Wolverine und diese X-23 gar nicht. X-23 mag einen Logan gekannt haben, aber Wolverine hat bis auf wenige Details gar keine Ahnung davon, wer X-23 eigentlich ist. Wo immerhin mit ihr versucht wird eine Art emotionalen Punkt in Logan anzusprechen, sind der Rest der aufgezählten Cameos nicht als Fanservice. Mit Gambit wird niemand, der mit der erfolglosen Geschichte seiner Filmadaption vertraut ist, etwas anfangen können, Elektra ist trotz ihres Spin-offs letzten Endes nur eine Nebenfigur in Daredevil, über welchen sich übrigens lustig gemacht wird, die Human Torch ist generell ein großer Witz und Wesley Snipes‘ Blade hat bis auf Referenzen an alte Einzeiler auch nicht weiter was zu bieten.
Manche Fans mögen sich über die Auftritte dieser Figuren zwar freuen, aber bei weiterem Nachdenken wird klar, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn diese Cameos so nicht im Film vorhanden wären. Schließen stecken all diese Figuren zusammen in einer Art Müllhalde für Superhelden fest. Sie werden nicht mehr gebraucht und müssen in einer von Mad Max inspiriertem Ödland um ihr Überleben kämpfen. Die Universen dieser Charaktere gibt es nicht mehr, beziehungsweise wurden sie aus denen verbannt. Wenn man sich also fragt, was aus den Helden der Kindheit wohl nach dem letzten Teil derer Filme geworden ist, gibt es jetzt eine Antwort: sie sind getrennt von Freunden und ihrem zu Hause und stecken in einem ewigen Überlebenskampf, wenn sie nicht sogar gleich tot sind.
Hier versuchen Marvel, Levy und Reynolds zu viel. Zwar lässt sich behaupten, dass ein Deadpool Film nicht ernst sein soll und dass dieses Schicksal der Charaktere nichts anderes als ein großer Witz ist, aber wenn dem wirklich so wäre, warum beinhalten die Credits eine prominente Hommage an das Fox-Universum? Warum wird in den Credits der Respekt gezollt, der im eigentlichen Film vollkommen gefehlt hat. Das Produktionsteam versucht sich solcher Kritik zu entziehen, indem es durch einen Witz Deadpools von dieser inhärenten Gemeinheit abzulenken versucht. Leute, die sich über die Behandlung dieser Charaktere beschweren, werden letzten Endes als Nerds bezeichnet, die zu viel Zeit damit verbringen, sich im Internet zu beschweren. Wenn das Argument ist, dass das Ganze ein großer Witz sein soll und dass man alles zu ernst nehme, wenn man sich beschwert, dann fehlt hier allerdings ein weiterer großer Aspekt: und zwar der Witz.
Dröge oder doch nur einfaches Kino?
Auch wenn Shawn Levy es geschafft hat, hier und da doch ganz unterhaltsame Actionsequenzen zu inszenieren, sind diese doch kein wirklicher Grund, um für Deadpool & Wolverine ins Kino zu gehen. Die Kameraarbeit ist über weite Strecken uninteressant und die Handlung vollkommen irrelevant sowohl für die Charaktere als auch das MCU. Wenn man diesen Film im Kino sehen will, dann um sich mit dem Publikum zusammen über die ganzen Cameos und die Chemie zwischen Jackman und Reynolds zu erfreuen. Ein großer Aspekt beim Beantworten der Frage, ob einem der Film taugen würde oder nicht, ist letzten Endes mit einer Gegenfrage zu beantworten: „Findest du Ryan Reynolds lustig?“.
Bei einem klaren „ja“ hat man es einfach, dann kann man Deadpool & Woverine nicht wirklich etwas übel nehmen. Alle Schwachpunkte des Films sind unter der Voraussetzung, dass man Spaß am Film und seinem Humor hat, einfach zu vernachlässigen. Schwieriger wird es ab einem „mal so mal so“ oder erst recht einem klaren „nein“. Deadpools Metakommentare zum Superheldenfilm und Popkultur sind nicht besonders klever, wenn man mit seinen beiden Beinen auch nur zur Hälfte im weiten Ozean der Filmcommunities steht und die wiederholten sexuellen Anspielungen werden schneller alt als die sämtlichen immerpräsenten Memereferenzen.
Übel nehmen kann man dem Film nicht sehr viel, schließlich versteckt er sämtliche getroffene Aussagen hinter Ebenen von Ironie und Selbstbeobachtung und der Anspruch darauf mehr als ein kurzweiliger Sommerblockbuster existiert auch nicht wirklich. Somit schafft es Shawn Levy mit Deadpool & Wolverine seinem üblichen Stil treu zu bleiben und einen über weite Strecken vollkommen identitätslosen Blockbuster zu schaffen, der sehr viel auf Ryan Reynolds vermeintlichem Charisma aufbaut, aber auf audiovisueller oder sonst narrativer Ebene nicht wirklich irgendetwas zu bieten hat. Wenn man mit dem Anspruch auf einen zumindest dezent anspruchsvollen Film, egal auf welcher der erwähnten Ebenen, ins Kino geht, dann wird es schwer sein, nicht enttäuscht zu werden. Aber wenn man Spaß an einem kurzweiligen Kinobesuch oder in ein paar Monaten einfach mal nach Feierabend etwas im Stream sehen möchte, dann macht Deadpool & Wolverine genug richtig, um seinen Zweck zu erfüllen: seichte Unterhaltung zu bieten, das MCU wieder relevant zu machen und Geld in die Kassen Disneys zu spülen.