Als ein Kind geschiedener Eltern habe ich mich zugegebenermaßen sehr auf diesen Film gefreut. Ich war älter als das Kind der zwei Protagonisten, als sich meine Eltern haben scheiden lassen, allerdings war ich bei Weitem nicht so involviert in das Geschehen wie das Kind von Charlie und Nicole. Ich habe mich auf diesen Film gefreut, weil ich einen Einblick in das haben wollte, was meine Eltern möglicherweise während dieser Zeit durchmachen mussten.
Aufgrund meiner persönlichen Verbindung zum Grundthema des Filmes bin ich glücklich damit, wie der Regisseur Noah Baumbach seine Hauptcharaktere behandelt hat. Baumbach zeigt beide Charaktere, Mutter wie Vater, in weder einem schlechten noch einem positiven Licht. Es ist schwer, eine der beiden Seiten zu hassen. Aber umso einfacher ist es, sich in die Protagonisten einzufühlen, ihre Gefühle zu verstehen und dennoch zugeben zu können, dass beide Eltern ihren Teil in der Trennung gespielt haben.
Dabei hat jede Szene des Filmes einen Nutzen, oftmals eben, um die Protagonisten weiter zu charakterisieren. Nie fühlt sich eine Szene zu lang oder wie verschwendete Laufzeit an. Der Anfang des Filmes ist dabei besonders effektiv darin, die Stimmung des Filmes in möglichst eleganter Art zu kommunizieren. Oftmals werden schon vorher bestimmte Handlungsentwicklungen angedeutet, die es umso effektiver machen, wenn später subtil auf diese vorherige Szenen Bezug genommen wird. Wer hätte gedacht, dass der simple Akt des Haareschneidens eine emotionale Wirkung in mir entfalten könnte? Solche Szenen funktionieren nur so gut, weil über den Verlauf des Filmes darauf hingearbeitet wurde, solch eine Reaktion auslösen zu können.
Auch ein altbekanntes Baumbach Merkmal, der Übergang in das Schwarze nach dem Ende einer Szene, findet hier eine besondere Bedeutung. Charlie ist nämlich Theaterregisseur, weshalb mich diese Übergänge immer an das Schließen des Vorhangs im Theater erinnert haben. So unterscheiden sich die Protagonisten in ihrer filmischen Präsentation, was dem Film weitere Tiefe verleiht. Die Farben und Filmkörnung geben dem dabei Film den Look einer Camcorder-Aufnahme. Dieser Aspekt in der Präsentation spielt eine große Rolle darin, dem Film eine so intime, ehrliche und nahbare Atmosphäre zu verleihen.
Eine Vielzahl an Dialogen des Filmes funktionieren ebenfalls nur aufgrund der Kameraführung so gut. Oftmals wird sich auf eine simple Shot-Reverse-Shot-Struktur verlassen, bis zu dem Moment, an dem von dieser abgesehen wird. Genau dann, wenn der Film dieser Struktur nicht mehr folgt, er die Charaktere von einem anderen Winkel zeigt, der zum Beispiel die emotionale Distanz zwischen den Figuren symbolisiert, dann geht Baumbachs Stil vollkommen auf. Ein weiteres Beispiel: Die Kamera folgt ein paar der Charaktere, während sie sich durch ein Haus bewegen. Plötzlich betreten die Charaktere verschiedene Räume, die Kamera bleibt stehen und eine Person wartet draußen im Gang.
Dieser Kontrast von bewegender zu ruhiger Kamera, von sozialer Nähe hin zur Isolation ist ein perfektes Beispiel dafür, wie die Unberechenbarkeit der Präsentation die Narrative unterstützt und weiter hervorhebt.
Neben der Präsentation heben sich die Dialoge aber auch durch die Regie ab. Manchmal betritt während eines Gespräches ein anderer Charakter den Raum, oder jemand fragt seine Kollegen, was denn gerade los sei. Manchmal reden sich die Charaktere einfach dazwischen, weil jede Person ihre eigenen Probleme und Gedankengänge hat. Aber der vielleicht wichtigste Aspekt des Ganzen ist, dass Baumbach seinen Charakteren immer etwas zu tun gibt. Entweder sie trinken, was sie kochen, vielleicht schminken sie sich auch gerade, aber das Ergebnis ist immer das gleiche:
Die Dialoge sind realistisch, denn es wirkt so, als würde man echten Menschen zuschauen, echten Menschen, die echte Dinge tun.
„Marriage Story“ ist ein besonderer Film für mich, denn er schafft es wie sonst fast kein Film vollkommen menschlich, geerdet und realistisch zu sein. Mit diesem Film hat Baumbach mein Vertrauen gewonnen.