London und die Liebe zum Kino

28 Stunden Bus

28 Stunden Busfahrt am Stück klingen genauso unvorteilhaft anstrengend, wie es auch wirklich sind. Startpunkt München und ab dann quer durch den Südwesten Deutschlands, über Strasbourg nach Paris und nach langer Verspätung endlich auf der Fähre nach London. Fix und fertig aus dem FlixBus schleicht es sich von der Victoria Coach Station über den Buckingham Palace am Morgen nach Lizzies Beerdigung an hunderten Kamera tragenden Blasphemisten und Touristen vorbei und landet irgendwann am Trafalgar Square im Herzen der Stadt.

Mit sieben Stunden Vorsprung gegenüber dem Check-In im schamlos überteuerten zwei Sterne Hotel und einem Schlafdefizit von ungesundem Ausmaß heißt es langsam aber sicher den Weg durch Soho in Richtung Camdens zu bestreiten, über den Kino-Hotspot des Leicester Squares zu laufen und sich von anderen außerländischen Besuchern gerade so abzuheben, dass man nicht in einen der vielen Krimskrams-Shops reingequasselt wird.

Es gibt viel zu tun, auch wenn die Touristenattraktionen Londons mittlerweile nicht mehr als ein bloßes Anerkennen ihrer Existenz aus mir herauskitzeln, bin ich ja nicht wieder nach London gekommen, um Bilder von und aus der Shard zu machen. Dieses Mal ging es mir speziell um etwas anderes, die Filme, das Kino. Die Lichtspielhäuser Londons.

Der Leceister Square um 7 Uhr morgens / © Antonio-Gabriel Matošević

35mm, IMAX und mehr

Alleine schon am zentral gelegenen Leicester Square gleich anliegenden an den Piccadilly Circus finden sich nicht nur Kinoketten wie das ODEON, Cineworld oder Vue Cinema, sondern auch das einzige unabhängige Kino im Londoner Westend: das Prince Charles Cinema. Ein Kult-Kino, das so manchem Cineasten auch außerhalb Großbritanniens bekannt sein könnte.

Vorallem definiert es sich durch eine Mischung aus neuen und alten Filmen im allseits individuell gestaltetem Kinoprogramm. Alleine zu meiner Anwesenheit liefen dort verschiedene Filme aus der Filmographie Wong Kar Wais und Jackie Chans, moderne Klassiker wie Lost in Translation, kultiger Trash wie The Room und neuere Filme wie Bodies, Bodies, Bodies und After Yang.

Ein Lichtblick für Filmliebhaber, die sowohl bereits vom Fernseher bekannte Filme mal auf der großen Leinwand sehen, aber auch für die, die obskurere Meisterwerke im Kino für sich entdecken wollen. Als geborener Münchner ist das PCC ein Blick in eine andere Welt, ein Kino, das sich der gesamten Historie der Filmkunst widmet. Auf eine Weise, die kein Kino in der eigenen Heimatstadt auch nur ansatzweise so replizieren kann.

Mit Glück zeigt ein Münchner Kino mal einen älteren Film im Kino und wenn es dann mal passiert, dann sind es die Art von Meisterwerken, bei denen es nicht direkt überraschend ist, sie wieder im Kino laufen zu sehen, selbst wenn es natürlich trotzdem schön ist, einen dieser Filme im Kino sehen zu können. Allerdings auch ein Privileg, wie ich jedes Mal feststellen muss, wenn ich im tiefsten Niederbayern im Studium festhänge und mich nur auf das trocken langweilige Programm des lokalen Mainstream-Kinos berufen kann.

Vergleichen wir das mal mit einem anderen deutschsprachigen Kino, dem Gartenbaukino Wiens. Selbst proklamiert als „Kino von Welt“ zeigt es regelmäßig die Filmographien vieler verschiedener Regisseure, auch gerne mal auf Film projiziert, bis zu 70mm. Was hieß das für meinen ersten und bisher letzten Besuch in Wien? Mein Trip widmete sich schnell mehr dem Kino-Tourismus als der bloßen lustlosen Betrachtung verschiedener Kunstwerke in den vielen großartigen Museen der Stadt.

Aber Ehre, wem Ehre gebührt, über die letzten paar Monate hat das Monopol-Kino Münchens mit ihrem Programm der „Monopol screenshots“ angefangen. Alle zwei Wochen wird ein Klassiker gezeigt, der anschließend zusammen mit den anderen Kinogängern diskutiert werden soll. Ein Schritt in genau die Richtung, die ich mir für die Münchner Kinos erhoffe.

Mein Kino-Tourismus innerhalb Londons endete allerdings nicht beim Prince Charles. Im Barnican („c“ hier ausgesprochen wie „k“, wie ich schmerzhaft herausfinden musste, als meine Londoner Freunde sich über meine Aussprache als „Barnisänn“ mehr als nur ein wenig lustig gemacht haben), wurde die heiß erwartete Netflix-Biopic Blonde über Marilyn Monroe vorab gezeigt. Währenddessen zeigte das wohlbekannte British Film Institute mit ihrem Kino an der Südseite der Themse, dem BFI Southbank, ähnlich zum Prince Charles sowohl Klassiker als auch selektierte neue Filme in ihrem Programm.

Gleich geht’s los – Im Kinosaal kurz vor Beginn des Marathons / © Antonio-Gabriel Matošević

Lasst mich ins Kino

Die große Motivation hinter meinem diesjährigen London-Besuch war allerdings ein ganz bestimmtes Event. Der Sam Raimi’s Spider-Man Trilogy-Marathon im Prince Charles Cinema. Von 23:15 Uhr lokaler Zeit bis ca. 6:50 am nächsten Morgen zeigte das PCC mit zehn Minuten Pause zwischen den Filmen die gesamte originale Spider-Man Trilogie aus der Vorstellungskraft Sam Raimis. Teil 1 und Teil 3 dabei sogar von einem 35mm Film projiziert.

Eine Filmtrilogie, die mir meine Liebe zum Film geschenkt hat, die ich allerdings bis zu diesem Tag, besser gesagt dieser Nacht nie im Kino sehen konnte. Das Verlangen, diese Filme im Kino zu sehen, so groß, dass ich mein gesamtes Erspartes an einem viel zu spontanen Trip nach London mit viel zu langer Busfahrt und viel zu schrecklichem Hotel ausgegeben, aber keine Sekunde lang bereut habe.

Zusammen mit drei Freunden aus einem Online-Filmclub fand ich mich im Soho-Viertel Londons, eine Nacht lang im Prince Charles Cinema. Ein voller Kinosaal mit begeisterten Fans. Eine Kino-Erfahrung, die ich so niemals vergessen werde. Menschen, die lachen, wenn eines der vielen Meme-Zitate gesagt wird, Menschen, die ihren Atem anhalten, wenn Tobey Maguire als Spider-Man zu Danny Elfmans triumphaler Musik zwischen den Hochhäusern New Yorks schwingt. Begeisterte Menschen. Eine traumhafte Nacht, für manche wortwörtlich. Eine Nacht, die ich lange so erleben wollte und endlich so erleben konnte.

Klassiker im Kino zu zeigen, bewegt das Publikum nicht nur dazu, älteren Filmen eine Chance zu geben, sondern ist in diesem Falle, in vielen Fällen, die in Erfüllung eines lebenslangen Traumes. Hoffentlich braucht es eines Tages keine 28h lange Busfahrt, um einen solchen Traum in Erfüllung gehen zu lassen.

Ich (ganz links) und meine Filmclub Freunde / © Antonio-Gabriel Matošević
Total
0
Shares
Related Posts