Marvel’s Spider-Man: Miles Morales (2020)

Marvel's Spider-Man: Miles Morales
© Insomniac Games / Sony Interactive Entertainment

Die Spider-Men

Seit Sam Raimi’s Spider-Man Trilogie hat mich keine Interpretation des berühmten Netzschwingers mehr fesseln können. Marc Webbs Versuch, die Spinne wieder in die Kinos zu bringen, hatte mich schon enttäuscht, bevor mich jemals irgendein Film enttäuschen konnte. Vielleicht war der erste Teil von 2012 auch der Film, der mir endlich die Möglichkeit gab, mich kritisch mit Filmen auseinanderzusetzen.

Auch dem zweiten Film-Reboot von Spider-Man, dieses Mal innerhalb des Marvel Cinematic Universe konnte ich nichts abgewinnen. Meine Liebe zum Wandkrabbler basierte ungefähr eine Dekade lang nur auf der originalen Filmtrilogie. 2018 hat sich das mit „Marvel’s Spider-Man“ von Insomniac Games und Sony Interactive Entertainment geändert. 

Insomniac überraschte mich mit einer Interpretation von dem Spinnenmann und dem Mann hinter der Maske, Peter Parker, die sich nicht vor Sam Raimis schämen musste.

Marvel's Spider-Man: Miles Morales
© Insomniac Games / Sony Interactive Entertainment

Zwei Jahre später meldet sich Insomniac mit Spider-Man zurück. Dieses Mal geht es aber nicht um Meinen lieb gewonnen Kindheitshelden Peter Parker, sondern um den Nachwuchshelden Miles Morales.

Zwei Jahre später meldet sich Insomniac mit Spider-Man zurück. Dieses Mal geht es aber nicht um Meinen lieb gewonnen Kindheitshelden Peter Parker, sondern um den Nachwuchshelden Miles Morales.

Da Miles keinen Platz so tief in meinem Herzen hat wie Peter, war ich nicht daran interessiert, ob Insomniac es schafft, Miles in einen Charakter umzusetzen, den ich genauso wie seine Filmversion lieben kann.

Es ging mir viel mehr darum, ob Insomniac nach ihrem Erfolg mit dem vorherigen Spider-Man Spiel ohne die Unterstützung von Peters Klassischem rot und blau und meiner nostalgischen Zuneigung wieder ein derartig unterhaltsames Spiel mit ebenso sympathischen Charakteren und einer dazu passenden Handlung abliefern kann.

Be Yourself

„Marvel’s Spider-Man: Miles Morales“ setzt ein wenig später nach seinem Vorgänger an. Anstatt in der Rolle von Peter befindet man sich nun in der Rolle des viel weniger erfahrenen Miles Morales, der unter Peters Lehre zu einem eigenständigen Superhelden werden soll. Kurz nach Spielbeginn verabschiedet sich Peter aus der Geschichte sowie dem virtuellen New York und überlässt die Metropole Miles ganz allein. Es ist Miles Chance, sich weiterzuentwickeln und endlich seine eigene Identität als Spider-Man, unabhängig von Peters zu entwickeln. Passend zur Tagline des Spiels: „Be Yourself“.

Marvel's Spider-Man: Miles Morales
© Insomniac Games / Sony Interactive Entertainment

Erfrischend ist es schon einmal, dass die Beziehung zwischen den Spinnen-Männern nicht so ist, wie man sich eine „junger Schüler lernt vom älteren Mentor“ Dynamik typischerweise vorstellt. Peter vertraut Miles nämlich vollkommen. Es gibt keine Ansprachen von ihm darüber, dass er sich zurückhalten soll, weil es zu gefährlich wäre. Miles kriegt seinen Spielraum, er darf sich entfalten und er soll es auch.

Viele kleine Unterschiede machen einen Großen

Spielerisch unterscheidet sich Miles nicht wirklich von Peter. Es wird genauso durch New York geschwungen, es wird genauso mit Handlangern gekämpft. Naja, das stimmt nicht ganz. Die beiden führen mit denselben Tastendrücken dieselben Aktionen aus, aber Insomniac erinnert einen daran, dass sie verschiedene Personen sind. Das spiegelt sich unteranderem darin wider, dass Miles Animationen beim Schwingen durch die Großstadt oder Kämpfen mit Bösewichten um einiges unbeholfener sind als Peters präzise Bewegungen. Miles verdreht sich am Spinnennetz gerne mal in die falsche Richtung, beim Tricks machen in der Luft macht er das Ganze mit mehr Style im Gegensatz zu Peters funktionaler Eleganz, bei falschen Schwungmanövern landet er ab und zu mit dem Gesicht auf dem Boden, während Peter sich automatisch abrollen würde.

Marvel's Spider-Man: Miles Morales
© Insomniac Games / Sony Interactive Entertainment

Auch im Soundtrack unterscheiden sich die Charaktere. Während Peters Aktionen mit typischer heroischer, orchestraler Musik hinterlegt wurden, schwingt und kämpft Miles am Puls der Zeit. Weg von den Trompeten, hin zum Hip-Hop. Neben den instrumentalen Tracks aus dem OST gibt es auch verschiedene Auftritte populärer Künstler wie Jaden oder Lecrae, die Miles auch in seiner Musik eine eigene Identität geben.

Die Grundmechaniken der Kämpfe und der Fortbewegung sind die gleichen, aber die kleinen Unterschiede in den Animationen und der Musik lassen einen doch so fühlen, als würde man Miles Morales, nicht Peter Parker spielen.

Aufgeladen, fertig, los!

Der größte Unterschied zwischen den beiden liegt allerdings in den Kämpfen. Es wird zwar nie wirklich erklärt, warum, aber Miles besitzt Fähigkeiten, die Peter nicht hat. In einem Spiel über Menschen, die aufgrund eines Spinnenbisses zu Superhelden werden, ist eine Erklärung aber auch nicht wirklich nötig. Solche Dinge gehören einfach dazu und werden akzeptiert. Miles kann nämlich aus seinem Körper Bioelektrizität schöpfen und hat dadurch diverse Angriffsmöglichkeiten, die Peter nicht hat. Mit Elektrizität aufgeladene Schläge werfen Gegner weiter weg und verursachen mehr Schaden, aufgeladene Sprünge breiten sich auf Miles‘ Umgebung aus und ziehen seine Gegner mit ihm in die Luft.

Um diese Elektrizität nutzen zu können, gibt es eine dazugehörige Leiste, welche sich durch das perfekte Ausweichen oder dem Einstecken von Angriffen immer weiter auffüllt. So gewinnt Miles‘ Gameplay an Tiefe. Seine Elektrizität ist entweder Belohnung für gute oder eine Hilfe für etwas schlechtere Spieler. Gute Spieler nutzen die stärkeren Angriffe zu ihrem Vorteil, um sich in Kämpfen noch mehr austoben zu können, während andere mit Hilfe der Elektrizität erst die Kämpfe gewinnen können.

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Oder so ähnlich, denn die Spezialleiste ist nicht nur zum Ausführen dieser speziellen elektrischen Angriffe, sondern auch zum Heilen von Miles Wunden da. Nachdem der Spieler einen Treffer eingesteckt hat, muss er den Kampf entweder überstehen, oder aber er opfert einen Teil seiner aufgefüllten Leiste, um dafür die Lebensenergie wieder zu erhöhen. Gewissermaßen ist es immer ein Trade Off, ob man defensiv spielt und sich die Leiste für Heilung in Notsituationen aufspart oder stattdessen aggressiv gegen seine Gegner ankämpft, damit man gar nicht erst von ihnen getroffen werden kann. Dieses Trade Off mit der Spezialleiste gab es schon als Peter im Vorgänger, aber dadurch, dass Miles mehr Möglichkeiten hat, um diese Spezialleiste zu verbrachen, wird das ganze Kampfsystem sehr viel dynamischer und taktischer als zuvor. Vor allem auf den höheren Schwierigkeitsgraden.

Ein Halbschritt

Der wohl am meisten besprochene Aspekt im Diskurs um „Marvel’s Spider-Man: Miles Morales“ ist, dass es sich nicht wirklich um einen Nachfolger zum Spiel von 2018 handelt. Im Grunde ist Miles Morales eine Überbrückung zwischen dem ersten Teil und dem eventuellen richtigen Sequel. Somit eine Art Zwischending. Das zeigt sich unteranderem darin, dass die Spielwelt von New York genau dieselbe ist wie noch im originalen Ableger. Der große Unterschied ist, dass NYC jetzt von Schnee bedeckt ist. Ein visueller Unterschied, der für genug Abwechslung sorgt, um die Spielwelt nicht langweilig werden zu lassen.

Marvel's Spider-Man: Miles Morales
© Insomniac Games / Sony Interactive Entertainment

Es ist davon auszugehen, dass größere Änderungen, wenn überhaupt, mit einem eventuellen „Marvel’s Spider-Man 2“ kommen werden. Eine größere Spielwelt mit einem realitätsnäheren Maßstab zum echten New York oder vielleicht weitere Stadtteile wie Queens oder Long Island. Die geringen Änderungen der Spielwelt sind aber solange irrelevant, wie die Fortbewegung durch die Welt noch Spaß bereitet. Im Grunde ist NYC nur eine Kulisse für das Austoben mit dem Spinnennetz. Und auch in Miles Morales macht es noch mächtig Laune.

Von der Spiellänge hat Miles Morales auch weniger zu bieten als sein Vorgänger. Während ein typischer Spieldurchlauf durch Miles Morales um die sieben Stunden dauern kann, war beim Vorgänger über das Doppelte dieser Spielzeit die Norm. Die Zeiten können je nach Interesse an den Nebenmissionen und Aktivitäten zwar variieren, aber es führt kein Weg daran herum zu erkennen, dass Miles‘ Spiel um einiges kürzer ist als Peters.

Nicht genug Zeit

Zu einem Problem wird das in der Handlung. Mit der kürzeren Spielzeit kann sich Miles‘ Geschichte nicht ganz so viel Zeit nehmen wie Peters. Das sorgt dafür, dass viele der Charaktere nicht genug Zeit und Raum zur Entfaltung bekommen. Die Beziehung zwischen Miles und seiner besten Freundin Phin ist so schwer nachzuvollziehen. Wenn sich Phin schon bald als einer der Antagonisten der Handlung entpuppt, fällt die Überraschung aus, interessieren tut es einen auch nicht wirklich. Es wird einem viel darüber erzählt, dass Miles und sie seit vielen Jahre beste Freunde seien, aber sehen tut man das nicht wirklich. In den wenigen Szenen, die Miles und Phin freundschaftlich miteinander verbringen, wird zwar eine gewisse Wärme kommuniziert, aber nicht genug, dass man als Spieler im Laufe der Handlung emotional von den Höhen und Tiefen der Freundschaft mitgenommen wird. Phins Motivationen werden nie klar, man versteht sie einfach nicht, und am Ende fühlt man weniger Sympathie ihr gegenüber als das Spiel einem doch so offensichtlich vermitteln will.

Marvel's Spider-Man: Miles Morales
© Insomniac Games / Sony Interactive Entertainment

Auch wenn „Spider-Man: Miles Morales“ die Dynamik zwischen Pro- und Antagonisten nicht so gut gelingt wie seinem Vorgänger, gibt es doch Aspekte in der Handlung, die gut funktionieren. Zurück zur Tagline: „Be Yourself“. Miles zieht zum Beginn des Spiels frisch von Brooklyn nach Harlem und befindet sich so in einer neuen Nachbarschaft, in die er sich reinfinden muss. Große Probleme hat er dabei nicht, schließlich hat seine Großmutter schon im selben Appartement in Harlem gewohnt, aber dafür muss ich Miles‘ andere Seite beweisen. Miles hilft als Superheld seinen Nachbarn aus und sorgt so für eine sichere und zufriedene Nachbarschaft. Miles wird dem Spitznamen „The Friendly Neighborhood Spider-Man“ mehr gerecht. Er lernt Menschen kennen, sie lernen ihn kennen. Es ist herzerwärmend zu verfolgen, wie sich Miles‘ Beziehung zu seinem neuen Zuhause verändert.

Steht für sich allein

Trotz der vergleichsweisen kurzen Handlung lässt sich Miles Geschichte viel abgewinnen. Sie ist kurz und knackig gefüllt mit warmen, unterhaltsamen und aufregenden Momenten. Sie mag nicht dieselben emotionalen Höhepunkte erreichen wie Peters, aber das Motiv der Nachbarschaft und Familie sowie Miles jugendliche Art und Unerfahrenheit im Superhelden-Dasein sorgen für so gute Momente, dass sich Miles Morales nicht vor seinem Vorgänger verstecken muss. Es ist mehr als mehr vom Selben. Es ist eine frische Perspektive mit anderem Charakter. Es ist nicht Peter, es ist Miles Morales.

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