Das Vorwerk
The Lighthouse. Einer der besten Filme 2019s, ein unerwartetes persönliches Highlight. Willem Dafoe, Robert Pattinson, gefangen in einem Seitenverhältnis von 1.19:1. Eine Bildgewalt in Schwarz und weiß, spielend auf einer kleinen Insel und in einem einzigen Leuchtturm. 109 Minuten Drama, Humor und Horror. Zwei Männer, die ihren Verstand verlieren und mitunter die einprägsamsten Dialogpartien des letztens Jahrzehnts aufeinanderprallen lassen. Robert Eggers nimmt seinen Platz unter meinen Lieblingsregisseuren ein.
2022. The Northman. Eggers ist zurück. Mit bringt er unter anderem Ethan Hawke, Willem Dafoe, Anya Taylor-Joy, mitunter meine liebsten noch aktiven Schauspieler. Ein 90 Millionen Dollar teures Rache-Epos von Eggers in weiterer Zusammenarbeit mit Kinematographen Jarin Blaschke, aber anstelle von Studio A24 eine Kollaboration mit Universal Pictures.
Spielend in einem von Wikingern dominierten Norden, dreckig brutal, übertrieben maskulin, in groben Zügen mit Fantastik aufgeladen und häufig vollkommen verrückt, sind hier genug Zutaten auf dem metaphorischen Schneidebrett Eggers, um in seiner Küche ein weiteres Meisterwerk zu zaubern. So ganz gelingt Eggers der Sprung in Hoch-teures-Filmemachen allerdings nicht. Trotz oder gerade wegen des hohen Budgets ist das Endprodukt mehr eine oberflächliche Erfahrung als ein weiteres visionäres Meisterwerk.
Aus Welpe wird Wolf
Alexander Skarsgård spielt Prinz Amleth, den Sohn von König Aurvandil (Ethan Hawke) und Königin Gudrún (Nicole Kidman). Der in der Vergangenheit noch junge Prinz (Oscar Novak) freut sich über die Rückkehr seines Vaters und wird von ihm nach längerer Abwesenheit schnell in das Wikingertum eingeführt. Gesprochen wird von Ehre, letzte Tränen vor dem vollkommenen Einstieg ins Erwachsensein werden vergossen und die bloße Signifikanz, den Vater im Falle des Todes rächen zu müssen, wird in den kleinen Amleth eingepfercht.
Nicht lange Zeit später kommt es zu Verrat. Des Königs Bruder Fjölnir (Claes Bang) erwartet Amleth und Vater, begeht Brudermord und übernimmt im Angesicht Amleths angeblichen Todes den Thron. Der junge Prinz flieht aber nicht, bevor er seine Mutter schreiend von dem Mörder seines Vaters entführt werden sieht und schwört sich eines. Rache.
Zwanzig Jahre später ist aus dem noch unschuldigen Welpen ein brutaler Wolf geworden. Alexander Skarsgård enthüllt sich in all seiner muskulösen Pracht und zeigt schnell, dass er mit der Zeit zu einem wahren Biest verkommen ist. Nach vielen Jahren an Plündern und Töten gerät er an Informationen zum Aufenthaltsort seines Onkels, bekommt eine Prophezeiung ausgesprochen und macht sich auf dem Weg, gebunden vom Schicksal, um sich endlich an dem Mörder seines Vaters zu rächen und seine Mutter zu retten.
Als Sklave untergetaucht auf dem direkten Schiffsweg zu seinem Onkel, lernt er Olga (Anya Taylor-Joy), eine nicht ganz unbeeindruckende Hexe kennen und plant ohne großes Zögern mit ihrer Hilfe den Untergang Fjölnirs und seine große Rache. Das Lüsten nach dem Blut des Vatermörders führt indirekt zu seiner großen Liebe, und so sind alle Weichen gestellt. Schicksal, Prophezeiung, Rache und Romanze. Eine Legende von Generationen, bedeutungsvollem Eisen und den Toren der Hölle.
Was passiert jetzt?
Schneller als erwartet bringt Eggers die Handlung zum Onkel und seiner neuen Familie mit der ehemaligen Königin seines Bruders. Als Sklaven versuchen Amleth und Olga möglichst viel unbemerkten Schaden anzurichten und sich den Sklaventreibern somit Onkel und Mutter anzunähern. Eine fragwürdige Entscheidung, wo die Reise zur Residenz des Onkels doch so schnell vonstattenging, dass der Aufbau zur letztendlichen Racheaktion zäh langweilig vor sich hinvegetiert.
Grobe Suche nach prophezieller Bedeutung hier, ein wenig vermeintliche Romantik da, aber an keiner Stelle genug tatsächlicher Fokus auf die Charaktere, weder Amleth noch Olga, dass ihre Beziehung zueinander oder ihre Geschichten wirklich an Wirkung entfalten können. Die Handlung entwickelt sich genauso, wie man es von einer leicht artistischen Interpretation einer Rachestory (Hamlet) erwarten würde, was es besonders fragwürdig macht, warum Eggers und Sjón mit ihrem Skript so viel Zeit mit unwichtigen Momenten verschwenden.
Anstatt die extrem vorhersehbare Handlung mit interessanten Charakteren zu füttern, passiert über weite Strecken nichts von wahrer Relevanz. Es wird sich an Momenten aufgehalten, die zwar möglicherweise die Moralität des Rachefeldzuges hinterfragen und Prinz Amleths Weg von bloßem Sklaven zu vertrautem Helfer darstellen sollen, aber keinem der Handlungstragenden Charaktere eine weitere Facette gewähren und einen Bezugspunkt für den Zuschauer herstellen. Die angebliche Romanze zwischen Amleth und Olga stellt weniger die Wichtigkeit von Liebe in den Vordergrund, als dass man sich fragt, an welcher Stelle sich die zwei Turteltäubchen denn überhaupt verliebt haben sollen.
Diese sehr zurückhaltende Erzählung geht sogar so weit, beziehungsweise schleicht sie so langsam und ohne große Entwicklung voran, dass der aus dem Schulunterricht bekannte retardierende Moment und seine Folgen mehr Lacher und Verwirrung ausgelöst haben, als die Handlung zu seinem eigentlichen emotionalen Höhepunkt zu treiben.
Wenn die Charaktere zu starr sind, nicht genug reflektieren und man so den Bezug zu ihnen verliert oder nie herstellt, wenn die Handlung so vorhersehbar, aber doch so langsam vorangeht, dass man sich langweilt, dann verliert man auch das Interesse an der Erzählung von Rache. Die Moralität des Geschehens wird kaum infrage gestellt, und wenn schon, dann kommen diese Momente so kurz, so aus dem nichts, dass man sich mehr fühlt, als säße man gerade eine Werbeunterbrechung aus, als einen tatsächlich wichtigen, bewegenden Punkt in der Handlung zu erleben.
Viel mehr lässt Eggers The Northman viel zu nah und offensichtlich an seiner früh in der Geschichte platzierten Prophezeiung entlanglaufen, als dass irgendwo dazwischen wirklich Momente von Wert passieren, die sich in das Gehirn einbrennen wie fast die gesamte Laufzeit von The Lighthouse. Das größte Problem. Die Prophezeiung zu Anfang des Films spielt sich im Grunde genauso wie erzählt ab, aber die Art, in der sie umgesetzt wird, ist nie beeindruckend genug, um an irgendeiner Stelle besonders interessant zu sein. Es wird weder auf irgendeine besondere Weise etwas über die zwecklose Natur von Rache gesagt noch die Rache selbst so mitreißend erzählt, dass man sich an einem bloßen Blutbad ergötzen kann.
Sogar plumpe Actionfilme wie ein John Wick (2014) oder wirkliche Meisterwerke wie A Bittersweet Life (2005) sind hier emotional insoweit stärker aufgeladen, dass die bloße unerfüllte Liebe und der Tod eines Hundes mich mehr als nur motiviert bis zum Ende hin für andere gestörte Massenmörder wetteifern lassen. Somit ist der schwächste Aspekt von The Northman sein Plot im Kontext seiner Charaktere. Eine Enttäuschung, kommend von The Lighthouse, aber dafür hat Eggers hier andere Tricks auf Lager, die seinen neuesten Film trotzdem zu einer erlebenswerten Erfahrung machen.
Von Schienen und Wikingermusik
In den richtigen Momenten punktet Eggers eben dennoch. Seine wohlbekannte Verrücktheit aus sowohl The Lighthouse als auch Erstlingswerk The VVitch (2015) findet auch hier all die glorreiche Repräsentation, die man sich von einem weiteren Eggers Film erhoffen würde. Ob es nun Ethan Hawke und Willem Dafoe sind, die fast nackt auf Wikinger-Drogen zusammen mit Kind-Amleth durch eine Höhle jagen, oder abgetrennte Köpfe, die von Schamanen zum Sprechen gebracht werden.
Diese Momente sind ohne Zweifel die, wo The Northman am meisten seine eigene Identität zu einbeziehen scheint. Momente, wo Willem Dafoe, als wäre es eine Hommage an seinen Charakter aus The Lighthouse, ins Gesicht gefurzt wird oder hypermaskuline Wikinger zu Kehlgesang wie Wölfe in den nächtlichen Wald heulen. Wo Eggers sich nicht zurückhält und mit vollkommener Bild- und Soundgewalt den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen weiß. Dabei hilft auch das Make-up Team, das vor allem die komplett verdreckten Wikinger in ihren von Wolfspelz übersäten Körpern atemberaubend in Szene stellt.
Nach dem ernsthaft fantastischen Anfang nimmt die Menge an solchen Momenten allerdings ab und wird stattdessen mit eher zahmen und beinahe fragwürdigen Momenten zwischengefüttert. Okay, mit Wolfsheulen alle Hunde zum Ausrasten zu bringen ist schon ziemlich cool, aber Wikinger Rugby ist nicht ganz so cool inszeniert, wie man es bei dem bloßen Hören von „Wikinger Rugby“ vielleicht vorstellen mag.
Wo allerdings durchgehend und ohne Scham beeindruckt wird, ist die Musik. Der Soundtrack von Sebastian Gainsborough und Robin Carolan ist wunderschön, energiegeladen, immer passend, nie zu pompös und nie zu sehr im Hintergrund. Fantastisch abgestimmt mit einer perfekten Auswahl an Instrumenten, die makellos in das Setting und die von Eggers etablierte Welt passen. Immer wieder bloßes Staunen dank des wahrlich großartigen Soundtracks, der sich selbst unabhängig vom Film zu Hause auf der Couch gut anhören lässt.
Auch merkt man die weitere Zusammenarbeit mit Jarin Bleschke an vielen Stellen an. Oft emotional distanziert, aber dadurch umso atemberaubender findet die Kamera sich oft auf Schienen, die sich um brutale Mord- oder stille Schleichsequenzen herumbewegt und so ein kohärentes Bild von dem Raum und der Umgebung zeichnet. Umso desorientierter fühlt man sich, wenn an anderen Momenten die Kamera in Bewegung kommt und man realisiert, dass Eggers und Bleschke einem gerade mithilfe der Kamera ins Gesicht gelogen haben.
Mit vielen Highlights in der Präsentation, ob das Finale oder verschiedene andere unwirkliche Sequenzen, weiß Bleschke wieder mit Silhouetten und perfidem Framing zu beeindrucken. Zwar sonst nicht so schön anzusehen wie The Lighthouse, ist auch The Northman ein sehr gut aussehender Film mit beeindruckender Kameraarbeit, die bloß an manchen Stellen mit offensichtlicher VFX-Arbeit an ästhetischer Wirkung verliert.
Wie geht es weiter?
Mit einer überzeugenden Lead-Performance von Alexander Skarsgård, der nicht nur rein körperlich alles nötige für die Rolle mitbringt, sondern in seinem Schauspiel auch immer wieder die Wirkung eines vereinsamten Kindes, das nie über sich hinausgewachsen ist, perfekt einfängt, schaut man ihm grundsätzlich gerne auf seiner Reise zu. Das Problem ist, dass an seinem Charakter nie weiter gefeilt wird, er nie über sein traumatisiertes Kind hinauswächst.
Auch Anya Taylor-Joys Olga weiß nicht viel mit sich anzufangen. Überraschend unemanzipiert für eine tatsächliche Hexe ist sie letzten Endes nichts als ein romantisches Accessoire für den Prinzen, während wirklich atemberaubende Darsteller wie Dafoe und Hawke es schaffen, ihren Charakteren in kurzer Zeit so viel Leben einzuhauchen, dass nicht nur Olga, sondern auch Amleth das Rampenlicht komplett gestohlen wird.
Selbst Nicole Kidman als die Königin kriegt in einer einzigen Szene einen interessanteren Charakter zu spielen, als unsere Protagonisten es von sich behaupten können und trumpft sogar den tatsächlichen Gegenspieler, Onkel Fjölnir, im Bezug darauf, wie interessant ein Charakter doch sein kann. So ziemlich jede Figur ist beeindruckender als Amleth, Olga oder Fjölnir.
2019 kam ich begeistert aus meiner Vorstellung zu The Lighthouse raus und war schon damals mit voller Vorfreude bereit für den nächsten Film von Robert Eggers. Stattdessen ist The Northman mehr enttäuschend als ehrlich mitreißend. Viele großartige Ansätze vollkommen verkocht in einer Brühe an flachen Charakteren und von Meilen vorhersehbarer Handlungsentwicklung.
Eggers kann hier auf einer rein technischen Ebene wieder überzeugen, vor allem der Anfang ist unglaublich mitreißend und großartig inszeniert, aber er verliert dennoch an meinem Wohlwollen, wenn er Charaktere und Handlung aus den Augen verliert. Die Frage stellt sich, ob ein Director’s Cut hier etwas ändern könnte. Eggers selbst macht in Interviews kein Geheimnis daraus, dass er nicht glücklich mit dem Rumgepfusche der Studios war und womöglich nie wieder einen Film mit derart hohem Budget in Angriff nehmen möchte. Man kann nur hoffen, dass was auch immer als Nächstes kommt, wenn kein Meisterwerk, dann aber wenigstens der Film sein wird, den er so auch machen wollte.