Verschiedene Zeiten, verschiedene Welten
Videospiele erlauben das Erkunden von Welten, die man in seinem Alltag niemals zu Gesicht bekommen würde. Damit beziehe ich mich nicht nur auf fiktive Science-Fiction– und Fantasywelten, abgeschottete Inseln und Höhlen oder dem Paris der FranzösischenRevolution. Selbst moderne, fast schon alltägliche Schauplätze finden ihren Platz in Videospielen.
Ubisofts Watch_Dogs 2 hat mich im Jahre 2016 durch die Bay Area Kaliforniens geführt. Von San Francisco nach Silicon Valley über Oakland und wieder zurück. Der Sonnenschein, die offensichtliche und progressive Lebensfreude des virtuellen San Francisco haben mich damals so sehr in den Bann gezogen, dass ich es mir jeher zum Ziel gemacht habe, eines Tages die Golden Gate Bridge mit eigenen Augen zu sehen.
Mit dem Nachfolger zu Watch_Dogs 2, Watch_Dogs: Legion widmetsich Ubisoft der Weltmetropole London. Zeitlich weiter in der nahen Zukunft angesetzt als der Ausflug nach San Francisco, soll Legion eine dystopische Zukunft eines Post-Brexit-Londons aufzeigen. Als Setting für die Spielreihe eignet sich London auch heute schon.
Watch_Dogs handelt von Hackern, welche sich die fortschreitende Technisierung der Welt zunutze machen, um Korruption innerhalb der Politik und der damit eng verbundenen Riesenkonzerne aufzudecken. In der Zukunftsvision Londons ist die Stadt an der Themse nicht nur mehr mit Hunderttausenden Überwachungskameras, sondern auch mit ähnlich so vielen Drohnen, die den Zivilisten den Alltag „sicherer“ gestalten sollen.
Die Liebe meines Lebens
Legion muss nicht dieselbe Aufgabe übernehmen wie sein Vorgänger und mir seine Spielwelt erst als mögliches Reiseziel vorstellen. Von klein auf war ich von England, der englischen Sprache und vor allemvon London fasziniert. Der riesige „London“ Schriftzug in meinem Kinderzimmer sowie meine LEGO-Version eines Londoner Busses sprechen für sich. Meine heimliche Liebe zu britischem Film und Fernsehen ist dabei auch nicht zu verachten. Die verschiedenen britischen Akzente bereichern meinen Alltag auf ihre eigene, beruhigende Weise immer zuverlässig.
Nun genug geschwärmt. Ich muss leider zugeben, dass ich selbst aber noch nie in London war. Okay, das stimmt jetzt auch nicht ganz. Gereist wurde in meinem Haushalt zwar nie, aber dank den Reiseprogrammen meines Gymnasiums hatte ich vor guten vier Jahren die Gelegenheit, zusammen mit meiner ganzen Stufe nach England überzusetzen. Es hat mir das Herz gebrochen, wie schlecht mir die Fish n Chips der Bordküche geschmeckt hatten.
Wir verbrachten insgesamt nur einen Tag in London. Eigentlich weniger als einen Tag. Ein paar Stunden am Tag der Abfahrt. Frei bewegen durften wir uns nur kurz und in einer arg touristischen Gegend. Das war nicht die London-Erfahrung, von der ich mein Leben lang geträumt hatte.
Umso begeisterter war ich, als es sich herausgestellt hat, dass Watch_Dogs Legion in London spielt. Nachdem ich San Francisco durch den Vorgänger so zu lieben gelernt hatte, war ich nach dieser Ankündigung auf Wolke sieben. Dazu kommt jetzt auch noch, dass eigentlich ein Trip nach London nach dem Abitur angesetzt war. Die hohen Infektionszahlen in England sowie mittlerweile auch wieder in Deutschland haben dem Ganzen ein Ende gesetzt. Meinen Traum, London kennenzulernen, konnte ich jetzt doch noch irgendwie in Erfüllung bringen. Das nennt man dann wohl Glück im Unglück?
Das Wecken von Erinnerungen
Schnell setzt in mir die Melancholie ein. Meine erste Fahrt über die Westminster Bridge, noch auf der falschen Straßenseite, erinnert mich an den Tag, an dem ich mit meinen eigenen beiden Füßen auf dieser Brücke stand und staunend die Touristenmassen begutachtet habe. Mitten im Juli, gerade mal Mittag und schon ist die Brücke von Menschen bedeckt, die sich wenig in das Stadtbild einfügen konnten. Aus deren Perspektive sahen wir Schulkinder wohl auch nicht viel passender aus.
Von da aus ging es ganz schnell. Vorbei am großen Benjamin, durch den St. James Park und Ende Gelände am Leicester Square. Das meiste davon hatte ich ganz vergessen. Erst als ich diese ganzen Schauplätze detailgetreu in Legion wiederentdecken konnte, habe ich mich an meine damalige Freude erinnern können. Jegliche Erinnerung war von dem Unglücklichsein über den Kurzaufenthalt angeschwärzt. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob ich damals realisiert habe, dass die riesige Parade im Park direkt vor dem Buckingham Palace stattgefunden hat.
Darauf begrenzen sich die Parallelen zwischen meinen Erfahrungen und dem virtuellen London auch schon. Ich bin Legion dankbar dafür, dass ich mich an die guten Seiten des Schultrips erinnern konnte.
Für die Zukunft
Allerdings endet Legion nicht an den Grenzen meiner eigenen Erinnerungen. Über meine 25h an Spielzeit bekam ich einige Seiten Londons zu sehen. Sehenswürdigkeiten, von denen ich nie zuvor gehört hatte, Musik britischer Künstler auf den Straßen, Scotland Yard und mehr. The Tube war leider nicht zu betreten, aber meine erste Erfahrung mit dem berühmten London Underground mache ich auch gerne selbst.
Watch_Dogs: Legion hat mir Orte gezeigt, die ich mir selbst eines Tages definitiv ansehen muss. Es hat mich an Emotionen erinnert, die längst verdrängt waren und Emotionen geweckt, die auch nur ein London begeisterter Typus Mensch, wie ich so erfahren kann. Für mich war das ganze weniger eine klassische Spielerfahrung. Es war viel mehr virtueller Tourismus. Eine Reise an einen weit entfernten Ort, der mir im Herzen doch so nahe liegt.