Mit 2017s Baby Driver schaffte Kultregisseur Edgar Wright seinen Sprung in die Gesprächsblase des Mainstream Kinos. Sein erster großer finanzieller Hit und ein neuer Start für den bisher vor allem für Komödien bekannten Regisseur. Bei Baby Driver handelt es sich nämlich nicht mehr (hauptsächlich) um eine Komödie, sondern um einen rasant inszenierten Actionfilm. Viele Autofahrten, viele passend zum Soundtrack choreografierten zugeschlagenen Autotüren, Bremsungen, Kameraschwenks und gefeuerten Maschinengewehre.
Wrights ganze Karriere basiert auf spielerischen Inszenierungen für extraordinäre und selbst ordinäre Handlungen. Witzefeuerwerke aus sowohl visuellen als auch erzählten Witzen. Das kann der Herr. Visuell spannende Inszenierung sowie darauf aufbauende Comedy. Mit Baby Driver nahm er die Comedy größtenteils aus dem Formular hinaus und mit Last Night in Soho legt sich der Fokus auf psychologischen Horror. Viel Raum für eine Wright typische hyperstilisierte Inszenierung ist da nicht mehr. Zumindest nicht ohne den zugrunde liegenden Horror ins Lächerliche zu ziehen.
Seit über eineinhalb Jahren der Verschiebungen frage ich als riesen Wright-Fan mich:
Wie würde sein erster wirklich ernster Film aussehen? Würde mir das überhaupt gefallen?
Irren und Wirren in Soho
Eine junge Frau vom Land schafft es in die Hochschule ihrer Träume und zieht im Zuge dessen nach London. Als englisches Landei in eine der bekanntesten Städte der Welt zu ziehen und dabei auch noch in die Fashion-Industrie einsteigen zu wollen und dabei auch noch die prätentiöse Londoner Jugend zu navigieren, sind für Thomasin McKenzies Eloise Turner anfangs noch die größten Probleme.
Zu Beginn ist der Film stilistisch nicht allzu sehr von Wrights anderen Werken zu unterscheiden. Klar, hinter der Kamera wird sich mit den schnellen Zooms und Whip Pans zurückgehalten, aber man merkt doch, dass es sich um einen Edgar-Wright-Film handelt. Es wird weniger Spannung aufgebaut als versucht die Protagonistin mit möglichst vielen Lachern von Punkt A zu Punkt B zu schieben. Das funktioniert auch, der Film ist lustig. Aber von Horror ist noch nichts zu spüren. Selbst der einzige Versuch, innerhalb der ersten dreißig Minuten irgendwie für Spannung zu sorgen, fällt flach und ist viel mehr lustig als irgendetwas anderes.
Mehr früh als spät geht es dann aber doch ans Eingemachte. Eloise findet ihren Weg in das Soho der 60er-Jahre und verliert sich in der Geschichte von Sandie, einer von Anya Taylor-Joy verkörperten Performerin und ihrem Aufstieg im Londoner Showbusiness.
Die 60er sind wunderschön. Helle, warme Lichter, wunderschöne Kleidung von noch schöneren Menschen getragen, markante Musik und Kameratricks, die einen ähnlich wie die Protagonistin selbst in die 60er-Jahre reinziehen, als gäbe es kein Entkommen. Eloise gefällt die Vergangenheit sogar so gut, dass sie die Einflüsse aus diesem anderen Leben in ihre Gegenwart fließen lässt. Sie färbt sich die Haare, kleidet sich anders und ahmt sogar Sandies Sprachgewohnheiten nach.
Die Handlung spitzt sich immer weiter zu, Eloise verliert mehr und mehr ihren Bezug zur Realität, bis der Film unter seinem eigenen Gewicht zu bröckeln und brechen anfängt. Denn worauf will Wright eigentlich mit den Geschichten der zwei Frauen in Soho hinaus?
Er scheint es selbst nicht zu wissen. Ähnlich wie die Protagonistin anfängt durch Soho zu wirren, ohne sich dessen bewusst zu sein, was sich wirklich in der Realität abspielt, beginnt Wright nach einer Weile das Skript kreuz und quer durch Soho zu werfen, ohne sich dessen bewusst zu sein, wie er seine Geschichte überhaupt erzählen will.
Während die Horror-Elemente ihren Weg in die erzählte Gegenwart finden, sucht der Zuschauer nach einem einheitlichen Element in der Erzählung selbst. Ist die Geschichte jetzt eine Komödie? Ein ernst zu nehmender psychologischer Thriller? Soll ich über diese Szene lachen? Sollte sie wirklich gruselig sein, oder orientiert sich Wright gerade an den mehr lustigen als gruseligen Horrorfilmen seines Vorbilds Sam Raimi?
Von Szene zu Szene lässt sich die intendierte Grundstimmung anders interpretieren, wodurch kein stimmiges Gesamtbild entsteht. Immer wieder wird man aus Eloises Erlebnissen rausgerissen und in anderen Momenten wieder so plötzlich in eine Verfolgungsjagd hineingeworfen, dass man vergeblich versucht, sich in ein einheitliches Erzähltempo und -Gefühl reinzuversetzen.
Das Ganze mündet dann in einem derart unterbackenem Finale, dass man wirklich nicht mehr wissen soll, ob man Lachen oder Weinen soll. Gruselig war der Film zu keinem Punkt, der finale Twist hat sich zwar leicht angedeutet, aber ist auch wieder fast schon so bedeutungslos, dass er nicht beeindrucken kann, und die Charaktere sind alle so flach und inszeniert, dass man zu keinem Zeitpunkt um auch nur ein einziges Leben bangt.
Wirklich Horror, wirklich Grusel gibt es hier nicht. Der Film ist nicht dreckig genug, um einen Glauben zu lassen, dass wirklich etwas Abscheuliches passieren könnte, er ist definitiv nicht gruselig – und selbst wenn, so inkonsequent in seinen Versuchen lustig oder furchteinflößend zu sein, dass man nicht von Horror sprechen kann.
Letzte Nacht beim Skriptschreiben
Damit sind wir beim größten Problem. Wrights erster Versuch, einen ernsten Film umzusetzen, hinkt bei der Umsetzung darin, sich selbst ernst genug zu nehmen. Das ist überraschend, fast schon schockierend. Jeder andere seiner post-Spaced Filme lässt sich ansehen, wie viel Zeit, Arbeit, Mühe und Planung in die Umsetzung seiner Skripte gesteckt wurde. Jeder dieser Filme wusste genau, was er war, war von Anfang bis Ende durchgeplant, und zwar ohne viel Raum für Improvisation. Hier passiert ein brutaler Mord, hier wird auf die Tränendrüse gedrückt, auf diese Szene folgt die andere, dieser Satz impliziert diese Wendung und das, was der Kerl da vorhin gemacht hat, rächt sich in ironischer Weise später nochmal. Die Filme waren lustig, traurig, spannend und so ziemlich jedes andere Adjektiv, das man in einer 5. Klasse Buchvorstellung so auspacken wurde. Sie waren all das, und zwar in einem stimmigen Gesamtwerk. Ich musste mich nie fragen, ob Wright überhaupt wusste, was er da erzählt, weil aus den ganzen kleinen Details einfach klar wurde, dass der Mann seine Geschichten lebt und liebt.
So eine klare Vision gibt es in Soho kaum bis gar nicht. Klar scheint hier und da mal eine klare Idee durch, aber es entsteht nie ein so kohärentes Gesamtbild wie in Wrights Vorwerken. Ist ihm die Zeit für die Skriptrevisionen ausgegangen? Oder war die letzte Nacht des Skriptschreibens so trübe in ihren Ergebnissen, dass der Wille zum Schreiben einfach nicht mehr da war?
Als Resultat dessen verliert sich der Film ab dem ersten Twist komplett. Wo ich vorher noch interessiert daran war, wie die Handlung in den zwei Zeitdimensionen sich entwickeln würde, war irgendwann nur noch die Inszenierung interessant. Die erste Hälfte von Last Night in Soho ist ziemlich gut, aber Wright verschießt schon viel zu schnell seine ganze Munition. Der Rest des Films ist ein Mischmasch an undefinierten Ideen und schön anzusehenden Bildern.
Raus aus Soho, Raus aus London
Und so verbringen wir unsere restliche Zeit mit Thomasin McKenzie und Anya Taylor-Joy. Dinge passieren, diese Dinge sind oft beeindruckend anzusehen, aber an sich nicht weiter von Bedeutung. Nachdem ich den Film mehrere Male geguckt habe, stecken mir jetzt immer noch einige Szenen im Kopf. Szenen, die mir nur beim Gedanken an sie ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Handwerklich hat Wright hier wieder ganze Arbeit geleistet. Die vielen Kameratricks, Choreografien und Montagen sind mindestens so beeindruckend wie eh und je. Das hilft dem für seine Verhältnisse schwachen Skript aber auch nicht aus dem Grab heraus und stillt meinen Wunsch nach einem neuen Wright-Meisterwerk genau so wenig.
Es gibt viel, was ich an Last Night in Soho liebe, aber es gibt mindestens genauso viele inkohärente Handlungselemente – oder einzelne Momente, die in sich einfach nicht funktionieren. Und das ist für einen Film von Edgar Wright einfach nicht gut genug.
Ich freue mich auf Wrights nächstes Projekt, was auch immer es sein wird. Aber so lange steht eins fest. Last Night in Soho ist bislang sein schwächstes Werk. Und hoffentlich kein Zeichen dafür, was er in der Zukunft noch bieten wird.